Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts

Das Umweltstrafrecht bestimmt sich auch nach dem materiellen (Verwaltungs-) Umweltrecht. Diese sog. Verwaltungsakzessorietät ist zentrales Strukturprinzip des Umweltstrafrechts. Es beschreibt den Umstand, dass die Straftatbestände durch Formulierungen wie „unbefugt“, „ohne die erforderliche Genehmigung“ oder „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ auf die verwaltungsrechtliche Rechtslage verweist und die Strafbarkeit letztlich von ihr abhängig macht.

Das hat eine Reihe von Gründen: Strafrecht soll nicht kriminalisieren, was Verwaltungsrecht erlaubt. Es soll verwaltungsrechtliche Regeln nur verstärken und flankieren, denn: Die Verwaltung schafft einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie, indem sie Genehmigungen erteilt und Umwelt-Standards festlegt (Lebensnähe des Verwaltungsrechts); das Strafrecht verstärkt den Rechtsgüterschutz lediglich als Drohkulisse. Die Akzessorietät sorgt für Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung durch einheitliche Auslegung der Begriffe (Praktikabilität und Rechtssicherheit). Außerdem kann die Verwaltung flexibler und schneller auf Veränderungen reagieren als der Strafgesetzgeber.

Die Unterformen der Verwaltungsakzessorietät ergeben sich aus § 330d Abs. 1 Nr. 4 StGB. Dieser definiert verwaltungsrechtliche Pflichten als eine Pflicht, die sich aus

  • einer Rechtsvorschrift
  • einer gerichtlichen Entscheidung
  • einem vollziehbaren Verwaltungsakt
  • einer vollziehbaren Auflage oder
  • einem öffentlich-rechtlichen Vertrag

ergibt und dem Schutz vor Gefahren oder schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt, insbesondere auf Menschen, Tiere oder Pflanzen, Gewässer, die Luft oder den Boden, dient (Schutzzweckklausel). Im Einzelnen:

1. Verwaltungsrechtsakzessorietät

Rechtsvorschrift iSv § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. a StGB sind alle gültigen Rechtsnormen mit Außenwirkung, also

  • Gesetze
  • Verordnungen
  • EU-Verordnungen

Verwaltungsvorschriften wie die TA Luft dagegen binden nur intern und sind daher keine Rechtsvorschrift im Sinne von § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. a StGB. Verstöße gegen sie bilden sind aber ggf. über § 22 BImSchG abgebildet. Keine Rechtsnorm im Sinne des Umweltstrafrechts ist außerdem die EU-Richtlinie, die gemäß Art. 288 AEUV noch der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten bedarf.

2. Verwaltungsjudikatsakzessorietät

Die Verwaltungsjudikatsakzessorietät ergibt sich aus § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. b StGB. Danach kann eine verwaltungsrechtliche Pflicht auch aus einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts entstehen. Beispiel: Ein Verwaltungsgericht untersagt den Betrieb einer Anlage im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO.

3. Verwaltungsaktsakzessorietät

3.1 Allgemeines

Die Verwaltungsaktsakzessorietät ergibt sich aus  330d Abs. 1 Nr. 4 lit. c und d StGB und betrifft Pflichten aus vollziehbaren Verwaltungsakten oder vollziehbaren Auflagen. Letztere ist in der Praxis besonders wichtig. Sie findet sich zum Beispiel in dem Tatbestandsmerkmal „ohne Genehmigung“ in § 326 Abs. 2 Nr. 2 und § 327 Abs. 1 StGB.

Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 35 VwVfG „jede hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalles mit Außenwirkung.“ Eine Auflage im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ist eine Bestimmung, durch die einem (durch VA) Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird, und kann ihrerseits einen Verwaltungsakt darstellen.

Unter Vollziehbarkeit versteht man die Unanfechtbarkeit (Bestandskraft) des VA wegen Ablaufs der Widerspruchs- oder Klagefrist (§§ 70, 74 VwGO) oder Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 2 VwGO).

Man spricht insoweit vom Gleichlauf von Strafrecht und Verwaltungsrecht: Der Bürger soll über die ihm angebotenen Rechtsmittel frei verfügen können; während Dauer der Rechtsmittelfrist bleibt sein Verhalten daher straflos! 

Stellt ein Straftatbestand auf eine Genehmigung ab, ist auch deren Umfang und die Einhaltung dieses Umfangs wichtig.

3.2 Materielle Genehmigungsfähigkeit

Keinen Schutz vor Strafbarkeit bietet die bloße materielle Genehmigungsfähigkeit eines Verhaltens (z.B. des Anlagebetriebs), wenn die Genehmigung nicht eingeholt wird. Dies folgt aus dem Grundsatz der strengen Verwaltungsaktsakzessorietät: Die materielle Genehmigungsfähigkeit wirkt weder tatbestandsausschließend noch rechtfertigend. Maßgeblich ist das Vorliegen einer Genehmigung zum Tatzeitpunkt; eine nachträgliche Genehmigung hilft also auch nicht.

3.3 Fehlerhafte Verwaltungsakte

Zu differenzieren ist bei sog. fehlerhaften Verwaltungsakten:

Keine Verwaltungsakte im Sinne des § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. c StGB sind bloßes Nichthandeln und nichtige Verwaltungsakte (§ 44 VwVfG). Rechtswidrige Verwaltungsakte bleiben strafbegründend, vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG:

“Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.“

Eine wirksame Genehmigung ist tatbestandsausschließend. Spiegelbildlich kann der Verstoß gegen eine vollziehbare Anordnung unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit zur Strafbarkeit nach dem 29. Abschnitt des StGB führen. Dies gilt bis zum Zeitpunkt einer etwaigen Rücknahmeentscheidung (eine Rückwirkung der Rücknahme gem. § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG ist im Strafrecht nicht möglich).

Bei Kollusion / Rechtsmissbrauch entfaltet die Genehmigung keine tatbestandsausschließende Wirkung, § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB. Die Täuschung wird in § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB genannt, die bloße Kenntnis von einem rechtswidrigen Verhalten der Verwaltung hingegen nicht. Ob der Katalog insoweit abschließend ist, ist strittig!

4. Verwaltungsvertragsakzessorietät

Der öffentlich-rechtliche Vertrag ist in §§ 54 ff. VwVfG geregelt:

“Ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts kann durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde.”

Strafbarkeitsbegründend sind nur sog. subordinationsrechtliche öffentlich-rechtliche Verträge, vgl. § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. e StGB:

“soweit die Pflicht auch durch Verwaltungsakt hätte auferlegt werden können”

Doch generell sind die §§ 54 ff. VwVfG zu beachten, so etwa auch die Nichtigkeitsgründe nach § 59 VwVfG.

Rechtsanwalt Dr. Dirk Böhler, LL.M.

Passionierter Rechtsanwalt für Umweltrecht

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